Eiskalt…

.. ist es am 19ten Dezember in München. Wird also ein langer Weg werden bis zum Kafé Kult, wo des Nachts wohl noch die abgefahrensten Dinge rechts der Isar passieren sollen.

Teil 1: Antithese

Dynamischer Eintritt: Bis um 21 Uhr wird gewürfelt, danach sieben Euro. Ich komme mit 1 € denkbar günstig weg, hätte aber auch ohne zögern 10 € bezahlt. Das Line-Up kann sich schließlich sehen lassen, mit Riot Reiser und der Damenkapelle verspricht der Abend wunderbar kaputt zu werden.

Den Anfang macht die solide kleine Standard-Rock-Band Silverflies. Männer mittleren Alters lassen die Akkorde schrammeln und singen über das „latest fashion victim“ – witzig, der Sänger trägt selbst eines dieser typischen, mit blauem Leder beschulterten Rockabilly-Hemden, das gar nicht recht zu ihm passen mag. Überhaupt passt alles  nicht so ganz – auf dem Bodensatz-Festival braucht man sich doch nicht für ein Feedbackquietschen entschuldigen und schon gar nicht ständig die Instrumente stimmen. Soweit  so gut, jedoch ist der bisher tiefste Eindruck des Abends bis jetzt deswegen aber erst mal nur die Kälte, die auch innen nicht so recht aus den Stiefeln heraus kommen will.

Mittlerweile ist aber auch die große Bühne eröffnet und die Formation Pig-Skin-Pink, ebenfalls vier Kerle, starten mit ihrem Rock-Set. Es klingt zeitweise fast ein wenig nach Britpop, trotz hin und wieder recht ansehnlicher Sound-Tiefe werden die Manchesteresquen Chorus-und-Feedbackeskapaden aber immer nur für ein paar Sekunden durchgehalten. Trotzdem ganz nett. Außerdem gewinnen der Bassist und der Sänger überraschend in der Kategorie „Outfit“: Sie sehen Jay & Silent Bob so beängstigend ähnlich, dass man nicht weiß, ob es sich um einen Gag handelt oder nicht.

Derweil war auf der kleinen Bühne das Set von – hm, keine Ahnung – fertig aufgebaut. Mit hübscher, aber unterforderter weiblicher Gesangsstimme gab die Band auf ihrem – nach eigener Angabe – ersten Auftritt überhaupt ruhige Songs zum besten, die sich vor allem durch die kleinen, aber feinen Experimente an den Effektgeräten des Gitarristen auszeichneten. Doch Alles umsonst, denn bald sollten auf der großen Bühne Riot Reiser zum Appell antreten. Umziehen: Deutschland-Hosenträger. Nach viel Soundcheck-Spaß mit dem Mischpult füllte sich die Halle schnell: „Hab ichs schon verpasst?“ Die Ansage kommt. Der Gitarrist kommt nicht – Trauerfall.

Reiser: Trotzdem. Wahnsinniger Start. Der Sänger ist nicht zu sehen, er liegt hinter dem Schlagzeug. Das gefällt. Die Ekstase höchstselbst ist nach der ersten Gesangszeile sofort schreiend aus dem Raum geflüchtet und versteckt sich jetzt weinend daheim im Keller, während der Sänger mit extremer Energie durch den Saal rennt. Schlagzeug und Bass sind voll da, dass etwas fehlt merkt man nicht unbedingt. Nach fünf Minuten wird die vocals-section gekonnt in die Stahlkonstruktion an der Decke verlegt. „Wie ein Faultier“ hängt Tobi (voc) die nächsten zehn Minuten rum und brabbelt ins Mikro. „Ihr wollt uns doch verarschen“, feixt das Publikum. „Das ist doch keine Kunst“, schreit ein anderer. Doch am Tonfall ist zu hören: Was er eigentlich meint ist: „Das ist das beste was ich je gesehen habe“. Recht hat er. Nach noch zwei, drei, sieben Nummern über Krieg, einer Liebesode an die Polizei und noch mehr Spaß mit allerlei spitzen, langen Gegenständen sowie kitschigem Cellophan-Papier schmeißt Tobi das Mikro hin: „Hab mich geärgert. Hab keine Lust mehr.“ Das Konzert ist aus. Genial. Man hat mal gesagt, dass es nach Hegel keine Philosophie mehr geben könnte. Das war zwar falsch, aber man könnte dasselbe über diesen Abend sagen: Es gibt keinen Punk mehr nach Riot Reiser. Und Musik sowieso nicht.

Nachdem Riot Reiser erfolgreich alles destruiert hatte, was man Kunst, Musik oder sonstwie nennen könnte, wächst fernab der Trümmer auf der kleinen Bühne indes schon etwas ganz neues: Der geniale, blutjunge Künstler für elektronische Musik AGIKAKALUNA entwirft – ausgestattet mit nicht viel mehr als einem kleinen Mischpult, drei uralten Gameboys und einer Triola – abgefahrene Klangwelten, durchaus zum tanzen, aber weit jenseits klassischer Elektromucke. Klingt ein bisschen wie Prodigy ohne die Professionalität und die Geschwindigkeit, klingt natürlich nach Gameboys, Zelda und Mario, aber auf jeden Fall klingt es ganz, ganz geil.

Frl. Jablonski sollte mit ihrer Damenkapelle später am Abend eine schön-schauerliche Synthese  abliefern, die sich gewaschen hatte.  -> Teil 2.

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